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5-2024 - Die spannende Zukunft der Quartiere

Dr. Heiko H. Stutzke und Wiebke Brüssel

Mai 2024

Für einen Anruf unterwegs in die nächste Telefonzelle? Informationen nur aus der Uni- oder Stadtbibliothek? Was heute kaum noch vorstellbar ist, war in den Fünfziger- bis Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts normaler Alltag. In dieser Zeit entstanden auch die Strukturen unserer Städte und Gemeinden - und diese gibt es heute noch immer fast unverändert. Aber: Heute unterscheiden sich unsere Vorstellungen von der Stadt deutlich von dem, was damals fortschrittlich und wegweisend war. Und so verwundert es nicht, dass Innenstädte immer mehr an Attraktivität verlieren, Händler vor Ort mit Onlineangeboten und Lieferdiensten konkurrieren und Leerstände sich ausbreiten. Start-Ups und ähnliche Nutzungskonzepte gehen am Kernproblem vorbei und versuchen lediglich, mit anderen Angeboten den alten Zustand wiederherzustellen.

 

Piktogramm einer dörflichen Struktur

 

In unserem Beitrag werden wir uns damit beschäftigen, wie Städte und insbesondere ihre Orts­teile die heutigen Anforderungen erfüllen können und „zukunftsfest“ werden. Und wir werden uns anschauen, was die heutigen Anforderungen überhaupt sind.

 

 

1     Wie ist es heute in den Quartieren?

 

Noch vor gar nicht so langer Zeit bestand die Vorstellung von einer optimalen Stadt darin, Arbeit, Wohnen und Freizeit räumlich voneinander zu trennen. Die einzelnen Bereiche wurden durch Verkehrswege verbunden, die sich unter dem Titel „autogerecht“ häufig als breite Schneisen durch die Quartiere zogen. Der trennende Charakter dieser Trassen wurde in Kauf genommen oder nicht als Problem angesehen. Auch heute nimmt der „Berufsverkehr“ trotz mehr Arbeit im Homeoffice noch immer viel Zeit in Anspruch, und die immer größer werdende Zahl privater Fahrzeuge hängt mindestens zu einem großen Teil auch mit den beruflichen Mobilitäts­anforderungen zusammen[1]. Als Konsequenz wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Parkdruck in den Quartieren immer größer. Preiswerte Quartiersgaragen gibt es übrigens in den meisten Fällen nicht.

 

Die Innenstädte waren früher der Inbegriff der Einkaufswelten, mit vielen kleinen und mittleren Geschäften „in bester Lage“. Hinzu kamen einzelne große Warenhäuser (die „Department Stores“), die als zentrale Ankerpunkte einen Großteil der Bedürfnisse unter einem Dach abdeckten und für viele sogar Treffpunkt bei Verabredungen waren.

 

Heute ist das anders. Die Recherche im Internet ist zum Standard geworden, und mit der unglaublichen Angebotsvielfalt können selbst große Warenhäuser nicht mithalten. Zudem werden die bestellten Waren bequem nach Hause geliefert, und Rückgabe- oder Umtauschmöglichkeiten machen selbst den Kleidungskauf von zuhause einfach. Kleine Fachgeschäfte überleben diesen Trend meistens nur noch kurz. Eine (etwas) bessere Chance haben Einkaufs-Malls am Rande der Stadt und noch in der Nähe der Wohnquartiere. Sie schaffen es oft, ein besseres Angebot als die Innenstädte zu präsentieren, und verbinden das Shoppingerlebnis unter einem Dach mit kulinarischen Angeboten oder weiteren Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung. Die Erreichbarkeit mit dem eigenen Auto ist problemlos, und die Parkplätze sind kostenlos. Wozu sollte man also noch in die Innenstadt fahren?

 

Damit erklärt sich, was wir alle heute beobachten: Verödende Innenstädte und zunehmender Leerstand auch in den Quartierszentren. Hinzu kommen vielfach „Vermüllung“ und das Gefühl mangelnder Sicherheit.

 

Mit dieser „Ausgangssituation“ stellt sich die Frage: Wie kann es weitergehen - in einer Weise, dass Menschen sich in ihren Quartieren wohlfühlen, die gesunde Umwelt wiederhergestellt wird und Strukturen wieder zusammenwachsen?

 

 

2     Das „Dorf in der Stadt“ - moderne Strukturen für ein besseres Zusammenleben

 

Wenn man die oben gestellte Frage beantworten will, ergeben sich schnell einige zentrale Parameter, die für die Lebensqualität in den Quartieren ausschlaggebend sind:

 

  • Wohnumfeld mit bedürfnisgerechter Grundversorgung (Energie und Wasser, Kommunikation, …),

  • zielgruppengerechte, lokale Angebote für alle Lebensbereiche,

  • kultur- und altersgruppengerechte Kommunikations-, Integrations- und Austauschangebote,

  • Sicherheit,

  • kurze Entfernungen und Mobilitätsangebote.

 

All diese Punkte zusammen ergeben Strukturen, welche die Vorzüge eines Dorfes in ein urbanes Umfeld bringen - also das „Dorf in der Stadt“. Hier spielen drei Merkmale eine besondere Rolle, nämlich

 

  • die Überschaubarkeit von Strukturen und Angeboten, wie man sie aus Dörfern kennt,

  • die Möglichkeit, bei lokalen Veranstaltungen die Menschen des Quartiers zu treffen, und

  • das Entstehen eines Gemeinschaftsgefühls.

 

Zusammen stärken sie auch die individuelle Verantwortung für das eigene Lebensumfeld und tragen so dazu bei, die Lebensqualität zu steigern.

 

 

2.1   Aufteilung in Themenfelder

 

Wie könnte ein solches, modernes „Quartiers-Dorf“ aussehen? Wir wollen uns hier die wichtigsten Bereiche und Themenfelder ansehen, die ein Dorf bieten sollte. Dabei orientieren wir uns an den „Sustainable Development Goals“ (SDGs) der Vereinten Nationen.

 

Alle Themenfelder müssen sinnvoll miteinander vernetzt werden, da sie nicht isoliert betrachtet werden können.

 

1. Grundversorgung (SDG 9 - Industrie, Innovation und Infrastruktur)

  • Bezahlbarer Wohnraum mit zeitgemäßer Ausstattung.

  • 10-Minuten-Stadt – alles Wesentliche ist in dieser Zeit erreichbar.

  • Sichere Energie- und Trinkwasserversorgung.

 

2. Einkaufen und (täglicher) Bedarf (SDG 12 - Nachhaltiger Konsum und Produktion und SDG 16 - Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen).

  • Leicht erreichbare Einkaufsmöglichkeiten.

  • Gut erreichbare Bank- und Postdienstleistungen.

  • Leicht erreichbare und gut zugängliche öffentliche Verwaltung (Ortsamt / Bürgerzentrum).

  • Lieferdienste, die mehrere Angebote ausliefern (nicht nur „REWE“ und „Picnic“).

  • Restaurants und Cafés.

  • Gutes Second-Hand- und Sozialkaufhausangebot.

  • Kombinierte Nutzung von Verkaufsräumen, zum Beispiel zusätzlich als Internet-Café oder Co-Working-Space.

  • Nutzung des „echten“ Dorfplatzes.

 

3.  Sicherheit und Sauberkeit (SDG 11 - Nachhaltige Städte und Gemeinden)

  • Sichere Verkehrsführung für alle Verkehrsteilnehmer, besonders auch für Fußgänger und Menschen mit Einschränkungen.

  • Gute Beleuchtung an dunklen Wegen.

  • Müllabfuhr / saubere Umgebung ohne Müll.

  • Schutz vor Wetterereignissen.

  • Schutz vor Gewalt.

 

4.  Kommunikation (SDG 9 - Industrie, Innovation und Infrastruktur)

  • Technische Internetanbindung (Glasfaser etc.).

  • Kommunikationsmedien (Internet, Mail, Radio, Fernsehen, Zeitung, …).

  • Möglichkeit für Homeoffice.

  • Co-Working Spaces für die Menschen, die im Homeoffice arbeiten, aber zu Hause nicht die Möglichkeit dazu haben (Familie, Räumlichkeiten, Internetgeschwindigkeit, …).

  • Virtueller Dorfplatz mit Informationen über alle Angebote (lokale geplante Maßnahmen, Veranstaltungen, …) mit guter Wahrnehmbarkeit. Umsetzung zum Beispiel über eine „Stadtteil-App“ oder Anzeigetafeln. Vernetzung der Angebote.

 

5. Medizinische Versorgung und Gesundheit (SDG 3 - Gesundheit und Wohlergehen)

  • Medizin-Zentren mit zentraler Verwaltung (keine Einzelpraxen mehr). Angestellte Ärzte. Ggf. staatlich finanziert.

  • Gesundheits- und Bewegungsangebote für Menschen im Stadtteil – je nach sozio-ökonomischer Situation der Bewohnenden möglichst preiswert oder sogar kostenlos.

  • Sportkurse und ein öffentliches Bad.

  • Passende Angebote für die zunehmende Zahl älterer Menschen (Ruhestand der Baby Boomer).

  • Beratungsangebote für alle Lebenslagen.

  • Maßnahmen gegen Einsamkeit und Vereinsamung.

 

6. Mobilität, Transport und Verkehr (SDG 11 - Nachhaltige Städte und Gemeinden und SDG 9 - Industrie, Innovation und Infrastruktur)

  • Mobilitäts-Hubs (Carsharing, ggf. Roller etc.).

  • Mobilitätsangebote für Kurzdistanz-Transport im Quartier („Circle Lines“, „Rikscha-Service“).

  • Preiswertes und breit ausgebautes alternatives Mobilitätssystem.

 

7. Bildung und Kultur (SDG 4 - Hochwertige Bildung)

  • Lernunterstützungsangebote für Schülerinnen und Schüler – auch unter Einbeziehung ehrenamtlicher Betreuung.

  • Lernorte, wenn Lernen zu Hause nicht möglich ist.

  • Bibliothek und Kulturangebote.

  • Spezielles pädagogisches Angebot für Jugendliche mit Migrationshintergrund: Höhere Schulabschlussquote erreichen (ZIS).

 

8. Soziale Angebote und Freizeit (SDG 10 - Weniger Ungleichheiten)

  • Freizeitangebote für alle Altersgruppen (bei Bedarf auch Betreuungs- und Unterstützungsangebote am Wochenende).

  • Niedrigschwellige Treffmöglichkeiten für die Bekämpfung von Vereinsamung und Kommunikationsangebote.

  • Vor-Ort-Unterstützungsangebote für Benachteiligte.

  • Sozialkaufhaus.

  • (Wieder-)Belebung zentraler Plätze als Treffpunkte.

  • Spiel- und Partyplätze.

  • Kulturangebote.

 

9. Ökologie und Klimaschutz (SDG 11 - Nachhaltige Städte und Gemeinden, SDG 13 - Maßnahmen zum Klimaschutz und SDG 15 - Leben an Land)

  • Schaffen einer „Schwammstadt“.

  • Grünstreifen und Parks mit Verweilmöglichkeit.

  • Angebote für klimafreundliches Verhalten (Akteure als Vorbild).

  • Umstellen zentraler Gebäude und Wohnanlagen nach und nach auf Klimaneutralität.

  • Entsiegelung von Flächen, so weit wie möglich: Aus Rasenflächen werden Urban-Gardening-Projekte und/oder Blühwiesen.

 

10. Politische Angebote, Stärkung der Demokratie, Integration und Gleichheit (SDG 16 - Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen)

  • Lebendige Demokratie durch intensive Bürgerbeteiligung.

  • Sichtbare Politik, die auf die Menschen zugeht.

  • Beratung zu Behördenanforderungen.

 

 

2.2   Die Umsetzung

 

Die Vielzahl der oben genannten Themen verlangt eine genaue Planung der Umsetzung. Dabei sind nicht nur Finanzierungsaspekte vor dem Hintergrund der knappen Haushaltslage der Öffentlichen Verwaltung ausschlaggebend, sondern auch die Tatsache, dass die Themen untereinander vernetzt sind.

 

Daher sollte die folgende Frage bei der Priorisierung konkreter Maßnahmen im Vordergrund stehen:

 

Mit welcher / welchen Maßnahme(n) lässt sich die größte Wirkung erzielen, die von den Menschen in den Quartieren auch wahrgenommen wird?

 

Es gilt, die Menschen in den Quartieren aktiv einzubeziehen und den entstehenden Maßnahmenkatalog gemeinsam zu entwickeln.

 

Über den Planungs- und Umsetzungstand muss regelmäßig berichtet werden, um den Menschen in den Quartieren zu zeigen, dass etwas passiert und worum es sich gerade handelt. Die Kommunikationswege müssen dabei die Lebenswirklichkeit, also das Nutzerverhalten der Menschen berücksichtigen.

 

 

3 Fazit

 

Es gibt eine Vielzahl von Themen, mit den das (Zusammen-)Leben der Menschen in den Quartieren weiter verbessert werden kann. Manche sind vor dem Hintergrund von Klimawandel und Alterung der Bevölkerung und strukturellen Veränderungen unabdingbar, andere wichtig für den sozialen Zusammenhalt.

 

Mit dem Schwerpunkt „Das Dorf in der Stadt“ kann eine Menge erreicht werden, um die vielfältigen Veränderungen unserer Zeit in etwas Positives zu verwandeln.

 

 

[1]  Im Jahr 2020 nutzen 68 % der Berufspendelnden das Auto für den Arbeitsweg, auch bei Strecken von weniger als 10 Kilometern. Quelle: Destatis: Pressemitteilung Nr. N 054 vom 15. September 2021.

Redaktionelle Hinweise

 

Über die Autoren

 

Dr. Heiko H. Stutzke und Wiebke Brüssel sind Geschäftsführende Gesellschafter des Strategiebüro Nord.

 

Das Strategiebüro Nord arbeitet für Unternehmen und Organisationen im privaten, sozialen und öffentlichen Bereich, für Gründer und für Firmen am Anfang ihrer Entwicklung.

 

Dabei geht es um individuelle Fragestellungen, die sich oft aus den Trends unserer Zeit ergeben. Hierfür entwickeln wir lösungsoffen und teamorientiert strategische Konzepte, die langfristig den Erfolg sichern.

 

 

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In unseren Beiträgen verwenden wir alle Begriffe in einem gesellschaftlich neutralen Kontext. Auch ohne Satz- und Worterweiterungen sind immer alle Geschlechter angesprochen.

 

 

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